Bericht von Susanna Koeberle, erschienen am 14.5. 2018 auf swiss-architects.com:
Die Digitalisierung stellt auch Museen vor neue, schwer zu lösende Aufgaben. Denn wie baut oder leitet man ein Museum, wenn die ausgestellten Werke sowie ihre Rezeption durch die Besucher im Wandel begriffen sind?
Die 2017 gegründete Diskussionsplattform «Kunstforum Zürich» lud ein beeindruckendes Lineup an Gastrednern ein, welche an einer Tageskonferenz sowie einer anschliessenden Podiumsdiskussion spannende Inputs zum oben angetönten Themenfeld lieferten. Experten und Expertinnen auf dem Gebiet der Museologie und der Kulturwissenschaft sowie Künstler und Architekten präsentierten ihre Projekte und Thesen und gaben Einblick in ihre Arbeit. Zudem diskutierten Vertreter von verschiedenen Zürcher Institutionen und Firmen über die Rolle der Kunst für «ihre» Stadt; schliesslich bildet die baldige Eröffnung der Kunsthauserweiterung auch eine Gelegenheit, über den Kunststandort Zürich nachzudenken. Gerade bekannte Beispiele wie das Guggenheim-Museum in Bilbao sowie die Tate Modern In London zeigen, wie Museen eine Stadt auch neu prägen können – und zwar sowohl für Touristen wie auch für die lokale Bevölkerung.
Der deutsche Kulturwissenschaftler Wolfgang Ulrich stellte gleich zu Beginn ein paar brisante Beobachtungen in den Raum. Heute begegnet man in Museen häufig Besuchern, die auf ihre Smartphones schauen, dies teilweise auf Anregung der Museen selbst. Bilder werden dank Apps bewegt oder zur Vorlage für Selfies. Denn Museen sehen sich vor die Aufgabe gestellt (oder glauben zumindest, handeln zu müssen), auf das veränderte Verhalten ihrer Besucher zu reagieren. Während Kulturpessimisten dies als eine Verminderung der Aura des Kunstwerks sehen, könne man, so Ulrich, diese Form der Aneignung und Anverwandlung durchaus als aktive Form der Rezeption verstehen, als Partizipation. Aber braucht es dann überhaupt noch Originale? Braucht es Museen?
Dass Museen zu einem Ort einer immersiven Teilhabe werden können, zeigte der Vortrag von Sarah Kenderdine. Die zurzeit an der EPFL lehrende Professorin für digitale Museologie entwickelt weltweit verschiedene digitale Installationen. Diese haben einerseits den Zweck, bedrohtes Kulturerbe zu bewahren, andererseits erlauben sie dank digitaler Medien eine neue Form des Musemsbesuches. Diese «verkörperte Museographie» definiert sich durch Immersion, Interaktion und Partizipation. Mussen stellen eine Art Interface zur Verfügung dank derer Besucher Zugang zu mehr Inhalten erhalten. Beide Experten gaben allerdings zu bedenken, dass digitale Formate nicht das einzige Konzept für das Museum der Zukunft seien. Sie glauben beide nach wie vor an die Kraft der banalen Betrachtung, das Digitale ersetze insofern das Original nicht, sondern schaffe höchstens neue Narrative. Man brauche auch mal eine Partizipationspause, brachte es Ulrich auf den Punkt.
Das Gespräch zwischen Pipilotti Rist und Ewa Hess (Journalistin und Mitorganisatorin des Kunstforums) machte anschaulich, wie die Kunst der Schweizerin schon länger mit immersiven Formaten arbeitet. Die Künstlerin möchte mit ihren Installationen vertraute Räume schaffen, auch wenn diese, wie Hess bemerkte, durchaus verstörende Inhalte enthalten. Ihre unverblümte und direkte Art lockerte die ganze Diskussion um Museen der Zukunft auf. Dabei war Rist auch auf erfrischende Art selbstironisch; etwa als sie plötzlich bemerkte, dass beim ihrem Vorschlag, dass jedem Kind bei seiner Geburt ein privater Künstler zugesprochen werden sollte, «im Plan etwas nicht stimmt». Sehr spannend war ihre Bemerkung, dass es viele eher mehrere, kleine, dezentrale Museen brauche statt eines grossen. Wichtig sei, dass die Bevölkerung sich mit «ihrem» Museum identifizieren könne.
Auch Pedro Gadanho, Direktor des MAAT in Lissabon (2015 eröffnet) wies darauf hin, dass eine Situation, wie sie heute im Louvre vorzufinden sei, wo man vor lauter Menschen kaum auf das eigentliche Objekt der Begierde (die « Mona Lisa») sehe, kein befriedigendes Kunsterlebnis darstelle. Für ihn müsse das Museum zum Ort werden, das Debatten ermögliche und somit als «activator» und «agitator» agiere. Diese Rolle steht im Kontrast zur «Disneyfication» der Städte durch Museen, wie sie andernorts stattfinde (und offenbar auch so erwünscht ist). Allerdings hat auch «sein» Museum eine Art Mini-Bilbao-Effekt erlebt.
Zum Schluss hatten Architekten das Wort. Allerdings sagte David Chipperfield, der Architekt der Kunsthauserweiterung, seine Teilnahme am Podium kurzfristig mit einer charmanten Entschuldigung ab: Angesichts der hochkarätigen Teilnehmer sei er zuversichtlich, dass seine Abwesenheit kaum bemerkt werden würde. Very british. Nichtsdestotrotz boten die Beiträge der Teilnehmenden mehr Anregung als genug. Die beiden Moderatoren Fredi Fischli und Niels Olsen (Leiter gta Ausstellungen an der ETH Zürich) formulierten eingangs den paradoxen Fact, dass von einem «Museum der Zukunft» zu sprechen, an sich schon ein Widerspruch sei. Schliesslich bestehe die Hauptfunktion des Museums darin, Erinnerungen aufzubewahren. Sie diskutierten mit ihren beiden Gästen Annette Gigon (Gigon/Guyer Architekten) und Adam Caruso (Caruso St John Architects) über das ideale Museum; beide Büros haben grosse Erfahrung im Museumsbau.
Sie präsentierten einige dieser Projekte und zeigten dabei verschiedene mögliche Modelle für ein Museum auf. Die heute übliche «White Box» versus das Museum als Wohnraum: für beide Konzepte gibt es Pros und Contras. Dabei stellte sich heraus, dass man sowohl auf den jeweiligen Kontext wie auch auf die auszustellende Kunst Rücksicht nehmen müsse. Bei aller Komplexität des Themas: Was sich deutlich abzeichnete an diesem Tag war die Tatsache, dass Museen physische Orte sind, die als öffentliche Räume eine wichtige Funktion in der Gesellschaft einnehmen.